Mittwoch, 29. Oktober 2014

Tristesse und Schwäbische Kleinbürgerlichkeit - Im Interview mit Karies

Tristesse irgendwo zwischen Stuttgart und Ulm, genauer Kreis Göppingen und jetzt hier. Ich sitze neben Käsebrötchen und Chips mit den vier Jungs von Karies im Golem, Hamburg. Der Raum ist eng und von draußen drängen sich psychedelische Gitarrenklänge durch die Tür. Die Band sitzt mir und einer auf sie gerichteten Schreibtischlampe verhörähnlich gegenüber.
Mit kaltem Bier in der wärmenden Hand taut alles recht schnell auf, was aber auch daran liegt, dass es sich bei der Gruppe um Grundsympathen handelt.


Karies ist eine der aktuell aufstrebenden Bands aus der Stuttgarter Szene, die sich dem Post-Punk und Noise verschrieben hat. Überschneidungen mit anderen Bands aus der Gegend gibt es nicht nur was den Sound angeht, sondern auch personell. So gibt Kevin nicht nur bei Karies am Schlagzeug das Tempo an, sondern drängt auch bei Die Nerven erbamungslos nach vorne. Auch Bassist Benni ist noch in weiteren Bands vertreten. Unter Anderem sorgt er in der Live Band von Peter Muffin, dem Solo-Projekt von Nerven Basser Julian, für die nötigen Tiefen.
Angefangen hat das Ganze schon vor etwa sieben Jahren in einem Proberaum im schon erwähnten Göppingen. Musikalisch hatte das ca. 50km entfernte Stuttgart schon damals eine starke Anziehungskraft. Besonders wichtig waren und sind das KOMMA in Esslingen und das FFUS. Viele Konzerte, nicht mal nur Gitarrenmucke, hauptsache "gegen Hörgewohnheiten verstoßen". Inzwischen ist die Verbindung zum KOMMA wahrscheinlich sogar noch gewachsen. Benni, mittlerweile nach Stuttgart gezogen, packt ehrenamtlich mit an und ist mit dem Betreiber befreundet.


Wütend, freibrechend, von den 80ern geprägter Post-Punk: so lässt sich Karies Sound am besten beschreiben. Aber warum besingt noch eine junge deutsche Band, mit maßgeschneiderten Texten den Ausgang aus der Adoleszenz und den Eintritt in ein viel zu träges und selbstgefälliges Leben? Und warum verzehrt sich die deutsche Musiklandschaft zur Zeit nach genau dieser Art von Musik? So ganz genau kann uns das auch niemand aus der Band erklären.
2012 fand Benni Zugang zu New-Wave Bands wie Abwärts und Fehlfarben. Nicht nur klang die Musik für ihn aufregend, frisch und passend, es wurde auch klar, dass es Leute in der Umgebung gab, die in die selbe Richtung strebten.
Die schon angesprochene Stuttgarter Szene und speziell die Post-Punk-Szene war nie so dominant, als dass man sich hätte "uniformieren können". Stattdessen inspiriere man sich immer wieder gegenseitig und jeder sucht sich seine eigene Richtung.


2013 erschien dann endlich das erste Tape von Karies. Fun ist ein Stahlbad wird an einem Abend aufgenommen. An den Reglern steht Max Rieger, Gitarrist von die Nerven. 7 Songs, Drang nach vorne und ein hochgreifendes Zitat aus der Didaktik Dialektik der Aufklärung als Tapename.
Im Laufe des nächsten Jahres reifen die Tracks auf den Konzerten wie ein guter Wein und im Oktober diesen Jahres erschien das nicht minder zitatlastig betitelte Debütalbum Seid umschlungen Millionen.
"Ich hatte ein Buch gelesen, in dem es um das Jahr der Brüdelichkeit ging [...] die Forderung nach Solidarität und Verbrüderung klingt heutzutage lächerlich und pathetisch" sagt Sänger/Bassist Max Nosek.
Auch das Cover hat starken Bezug zum Inhalt des Albums. Jans Elternhaus als Symbol für Tristesse und schwäbische Kleinbürgerlichkeit.
Das Album klingt erwartungsgemäß sehr viel gereifter als das Demotape, mit mehr Tiefgang, einer klareren Struktur und einem Druck, der sich in die Magengegend eingräbt. Die Weiterentwicklung wird auch klar, wenn man einen Blick auf die Titelliste wirft. Nur zwei Songs von Fun ist ein Stahlbad, Misere und Wahrheit träumt nicht schafften es auf die Platte.
"Misere hat eine neue Richtung eingeschlagen. Als wir anfingen hatten wir noch ein Casio Keyboard dabei und man wusste noch nicht wo es hingehen sollte [...] Es waren auch die bis dato gereiftesten Songs". Mit den Aufnahmen auf Seid umschlungen Millionen haben sie nun endlich die von der Band gewünschte Form erreicht.

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